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Christoph Rinne, Jochen Reinhard, Eva Roth Heege und Stefan Teuber (Hrsg.) Vom Bodenfund zum Buch Archäologie durch die Zeiten Festschrift für Andreas Heege ONLINEVERSION Vom Bodenfund zum Buch Archäologie durch die Zeiten Festschrift für Andreas Heege in Kommission Dr. Rudolf Habelt Verlag, Bonn „mach´s na“ Historische Sonderband 2017 Archäologie herausgegeben von Prof. Dr. Ulrich Müller Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Dr. Thomas Kersting Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum Prof. Dr. Claudia Theune-Vogt Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien PD Dr. Natascha Mehler M.A. Deutsches Schiffahrtsmuseum, Leibniz-Institut für deutsche Schifffahrtsgeschichte Vom Bodenfund zum Buch Archäologie durch die Zeiten Festschrift für Andreas Heege herausgegeben von Christoph Rinne Jochen Reinhard Eva Roth Heege Stefan Teuber in Kommission Dr. Rudolf Habelt Verlag, Bonn gedruckt mit Unterstützung von Einbecker Geschichtsverein e.V. Chalet Bibi, Unterseen Christine und Paul Dubs, Cham Renate und Klaus Heege, Mertert OTF, Hoorn Rittersaalverein Burgdorf Verein zur Förderung Historischer Handwerkstechniken, Tirol Wissenschaftliche Redaktion: Jochen Reinhard, Christoph Rinne, Eva Roth Heege und Stefan Teuber Bildredaktion und graische Überarbeitung: Ines Reese, Christoph Rinne, Christine Rungger und die Autorinnen und Autoren Satz und Layout: Ines Reese Englisches Lektorat: Eileen Küçükkaraca Umschlaggestaltung: Urs Bernet, Die Büchermacher GmbH, Zürich, in Zusammenarbeit mit Thomas Humm, Humm dtp, Matzingen Umschlagbild: Musée Ariana, Genf, Foto Andreas Heege, Zug / Stadtarchäologie Einbeck, Foto Stephan Eckhard, Göttingen / Reproduktion aus: Petra Lönne, Das Mittelneolithikum im südlichen Niedersachsen. Untersuchungen zum Kulturenkomplex Großgartach – Planig-Friedberg – Rössen und zur Stichbandkeramik. Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens Reihe A 31 (Rahden/Westfalen 2003), Zeichnung Petra Lönne Illustrationen: Knut Clauß Kommissionsverlag: Dr. Rudolf Habelt Verlag, Bonn Druck: Beltz Bad Langensalza GmbH ISBN 978-3-7749-4092-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograie. Detailliertere Informationen sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2017 bei den HerausgeberInnen und AutorInnen Historische Archäologie 2017 Festschrift für Andreas Heege Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber der Zeitschrift „Historische Archäologie“ | 7 Vorwort der Herausgeber der Festschrift | 9 Lebenslauf von Andreas Heege | 13 Eva Roth Heege | Andreas Heege – ein Forscher mit vielen Facetten | 19 Schriftenverzeichnis von Andreas Heege | 27 Tabula gratulatoria | 35 Frühe Phase / Früh-Geschichte Frank Siegmund und Sandra Viehmeier | Eine bislang unbekannte chalkolithische Siedlung am Westhügel der Tulul adh-Dhahab, dem Tall adh-Dhahab el-Gharbîyeh im Tal des Nahr ez-Zarqa (Prov. Dscharasch, Jordanien) | 39 Michael Geschwinde | Steinbühl 3.0. Eine bedeutende vorgeschichtliche Fundstelle im Leinetal bei Nörten-Hardenberg im Spiegel einer 80jährigen archäologischen Forschungsgeschichte | 51 Christoph Rinne | Ein jungneolithisches Erdwerk aus Südniedersachsen – Der „Kleine Heldenberg“ bei Salzderhelden, Stadt Einbeck | 63 Dieter Quast | Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato auf Sizilien | 83 Stefan Teuber | Das Brandgräberfeld der Spätlatènezeit und älteren Römischen Kaiserzeit bei Einbeck, Landkreis Northeim | 91 Norddeutsche Phase Marquita Volken | The shoe style ’Einbeck‘ and four patten styles from the city of Einbeck | 145 Thomas Kellmann | Der Einluss von Braugewerbe und Brandschutz auf den Hausbau in der Stadt Einbeck zwischen Mittelalter und Neuzeit | 157 Markus Wehmer | Michaela Hermann Ein Gesichtskrug aus Duinger Steinzeug von der Burg Hohnstein bei Neustadt/Harz | | Seltene Vögel? Ein neu gefundener Eulenpokal aus Augsburg | Erki Russow and David Gaimster wider context | 217 199 205 | Not another brick in the wall. Brickware artefacts from Tallinn in a Ralf Kluttig-Altmann | Erhitzte Damen. Das Frauenbild auf Wittenberger Renaissancekacheln im Kontext von Cranachwerkstatt und Reformation | 233 Harald Rosmanitz | Vom Hölzchen aufs Stöckchen oder: Was hat ein Einhorn auf Ofenkacheln zu suchen? | 273 5 Historische Archäologie 2017 Festschrift für Andreas Heege Grapen und Leuchter – Formabfall einer mittelalterlichen Bronzegießerei in Münster | | Sonja König Bernd Habermann Marion Roehmer 289 | Eine silberne Vogeligur aus der Altstadt von Buxtehude | 303 | Vivat! – Ein Trinkfässchen im Bestand des Clemens-Sels-Museums Neuss | 307 Michiel H. Bartels | Papal Bullae; a message from above? Interpretations of the papal lead seal (11th–16th c.) in archaeological contexts in and around the Netherlands | 315 Alpen und das weitere Vorland Lotti Frascoli | Ein früher, blau bemalter und salzglasierter Steinzeugbecher aus Zürich-Börsenstrasse (CH) von spätestens 1540 | 337 Eva Blanc Zur Produktion von Steinzeug Westerwälder Art in Pforzheim (1726−1749/51) | | 353 Marino Maggetti | Les pots de pharmacie en faïence de l’hôpital St. Jean de Bruyères (Vosges, France) – une commande majeure des premières années (1730–31) de la manufacture Jacques II Chambrette à Lunéville (arguments chimiques) | 363 Helga Heinze, Holger Klein und Stefan Krabath Uwe Gross | Eine barocke Töpferei in Bad Muskau | 377 | Töpferei durch die Jahrhunderte: Beispiele aus Ladenburg und dem Lobdengau | 399 Alice Kaltenberger | Die Zahlungsmodalitäten des „hochlöblichen Stiftes und Closters Göttweig“ (Niederösterreich) anhand von Hafnerabrechnungen der Jahre 1632 bis 1743 – Statistische Auswertung von Hafnerarchivalien | 411 Ralph Röber | Adler, Löwe, Bandschlinge – Gestempelte Fußbodenliesen aus dem Konstanzer Boden | Gerald Volker Grimm | Archäologie trift Kunstgeschichte: „The agrafe-forger“ | 429 451 Armand Baeriswyl | Der Markt von Langnau im Emmental und die spätmittelalterliche Kramlaube – ein Wahrzeichen städtischer Marktarchitektur auf dem Land | 477 Jonathan Frey | Die Gefässe mit Netzbindung aus Eisendraht im Goldenen Leuen zu Diessenhofen | 493 Jochen Reinhard | Was in den Rucksack passt... Zur Kombination von Freizeit und archäologischer Feldarbeit | 503 6 Historische Archäologie 2017 | Festschrift für Andreas Heege Historische Archäologie 2017 Festschrift für Andreas Heege Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato auf Sizilien Dieter Quast Zusammenfassung Auf dem im Hochmittelalter intensiv besiedelten Monte Iato in der Provinz Palermo auf Sizilien wurden 2008 außerhalb der jährlichen Grabungen der Universität Zürich vier Bronzegefäße bei der Zisterne entdeckt. Drei davon gehören zur Gruppe der „Hanseschalen“, die in romanischer Zeit besonders im Ostseegebiet weit verbreitet waren. Die feintypologische Einordnung der Schalen vom Monte Iato ist aufgrund ihrer Erhaltung nicht einfach. Die Darstellungen sind nicht genauer zu rekonstruieren. Eine Schale zeigt eine sehr undeutliche lorale Gravur, gehört somit zur Gruppe E nach Weitzmann-Fiedler. Die andere Schale weist zwei gut erkennbare Darstellungsfragmente auf: zum einen eine sitzende Figur, deren Mantel und Faltenwurf klar zu erkennen ist und zum anderen die Darstellung eines nach rechts blickenden Kopfes mit breitkrempigen Hut vom Gefäßrand. Diese Schale muss daher zur Gruppe B oder C gehören. Vergleichbare Schalen sind aus Sizilien und Süditalien bislang unbekannt, doch ist dieses Fehlen eventuell nur durch den Publikationsstand bedingt. Es gibt einige mittelbyzantinische Bronzeschalen aus dem 10./11. Jahrhundert, in denen man zumindest Vorbilder für die Hanseschalen sehen könnte. Wenn sich die Neufunde gravierter romanischer Bronzeschalen aus dem Mediterraneum und vom Balkan mehren, könnte das ein erneutes Nachdenken einfordern, ob nicht an den Grenzen des Byzantinischen Reiches der Ursprung dieser Form zu suchen ist, die im 12./13. Jahrhundert dann gleichermaßen nördlich und südlich der Alpen ein weit verbreitetes Element der „Elitenkultur“ war. Auf dem Monte Iato dienten die Schalen als Rohstolieferanten. Ein Gürtelbeschlag aus der Siedlung wurde eindeutig aus dem Blech einer solchen gravierten Schale herausgeschnitten. Dieter Quast, Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato auf Sizilien. Vom Bodenfund zum Buch – Archäologie durch die Zeiten – Festschrift für Andreas Heege. Sonderband Historische Archäologie 2017, 83–90. 83 1 2 Abb. 1. Monte Iato: 1. Lage. 2. Blick von Südwesten auf den Monte Iato (Karte: Michael Ober, RGZM, Foto: Dieter Quast). Seit 1971 führt der Fachbereich für Klassische Archäologie der Universität Zürich Ausgrabungen auf dem Monte Iato in der Provinz Palermo auf Sizilien durch, seit 2011 ergänzt von den Untersuchungen der Universität Innsbruck, Institut für Archäologien, Klassische und Provinzialrömische Archäologie, im Westquartier „zwischen Aphroditetempel und archaischem Haus“ (Abb. 1). Das Hauptinteresse dieser Untersuchungen galt und gilt den archaischen und den hellenistischen Befunden des griechischen Iaitas und dort dem Theater und der Agora. Während der Ort in römischer Zeit als Ietas nur auf bescheidenerem Niveau weiterexistierte, bildete die hochmittelalterliche Besiedlung einen letzten Höhepunkt in der Nutzung des Berges (vgl. zusammenfassend Isler 2000). Die Bewohner waren größtenteils Muslime, die Giato gerade in normannischer Zeit als Rückzugsgebiet nutzten. Die Schriftquellen nennen die Ansiedlung als einen der letzten Orte des muslimischen Widerstands gegen den Stauferkaiser Friedrich II., der die 84 Historische Archäologie 2017 | Festschrift für Andreas Heege Stadt 1246 nach längerer Belagerung eroberte und zerstörte (Isler 1995; Maurici 1987. Vgl. allgem. zur Geschichte Siziliens Booms / Higgs 2016). Die Überlebenden wurden nach Apulien, nach Lucera, deportiert (Taylor 2003; Clemens / Matheus 2008). Eine Überraschung erbrachten daher die Innsbrucker Ausgrabungen 2012/13. Unter dem Versturz einer Mauer kam im Bereich I in einem mittelalterlichen Wohnhaus (I-K WQ 478) eine Münze Konradins, geprägt zwischen 1254 und 1258 zutage, die somit eine Nutzung nach 1246 belegt (Kistler / Öhlinger / Mölk 2014, 181). In welchem Umfang allerdings mit einer Besiedlung nach der Zerstörung zu rechnen ist, bleibt erst einmal unklar. Im Kleinfundbestand deutet bislang nichts auf eine umfangreiche Nutzung nach 1246 hin. Die Grabungen auf dem Monte Iato haben einen umfangreichen Bestand an Kleinfunden zutage gefördert, der sicher zu den bedeutendsten im westlichen Mittelmeerraum gehört. Während die Keramik (Isler 1984; Ritter-Lutz 1991) und die Öllampen (Käch 2006) bereits vorgelegt wurden, fehlt bislang eine Publikation der nichtkeramischen Kleinfunde 1. Aus diesem Bestand sollen hier einige Bronzegefäße vorgestellt werden, die allerdings nicht während der Ausgrabungen zutage kamen. Im Jahre 2009 gab ein Wärter des archäologischen Parks (Parco Archeologico di Monte Iato) vier Bronzegefäße im Grabungshaus ab, die im Jahr zuvor angeblich bei der Zisterne auf dem Monte Iato gefunden worden waren. Genauere Angaben zu den Fundumständen liegen nicht vor. Bei den Gefäßen handelt es sich um drei zum Teil stark verbeulte, unvollständige Bronzeschalen und um einen kleinen Mörser (Inv.-Nr. B 2138 – B 2141. Abb. 2,1). Letzterer ist gegossen und wiegt bei nur 4,3 cm Höhe 116 gr. Eine gute Parallele – allerdings mit einer gravierten Verzierung im Oberteil liegt aus Hama in Syrien vor (Abb. 2,2) und stammt aus einem Kontext des 13./14. Jahrhunderts (Ploug et al. 1969, 38–40 mit Abb. 12,6). Weit interessanter sind allerdings die fragmentierten Bronzeschalen. Sie sind nicht gegossen, sondern getrieben. Der Randdurchmesser liegt zwischen 32 und 36 cm, die Höhe bei 7 bis 8 cm, das Gewicht zwischen 300 und 400 gr. Zwei der drei Schalen sind dekoriert 2. Wenngleich die Darstellungen nur unvollständig zu rekonstruieren sind, erlauben sie doch eine eindeutige Zuweisung der Schalen in die Gruppe der sog. Hanseschalen. Ihren Namen verdanken die romanischen Gefäße ihrer weiträumigen Verbreitung, die man in der Forschung mit der Handelstätigkeit des Hansischen Städtebundes in Verbindung brachte. Eine Verbreitungskarte zeigt das gehäufte Vorkommen dieser Schalen im Ostseegebiet, vor allem im Baltikum, bis hin nach Novgorod, aber auch in Skandinavien, Polen, Ungarn bis hin ins Rheingebiet und die Niederlande (Poklewski 1961; Weitzmann-Fiedler 1981; Biczó 1992; Lovag 1999, 78–81 Nr. D. Quast | Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato Abb. 2. Kleine Bronzebecher / Mörser. 1 Monte Iato, 2 Hama (SYR). M 1:1,1 Zeichnung Michael Ober, RGZM, 2 Nach Ploug et al. 1969, 35 Abb. 11,2. 1 2 Die Kleinfunde des Innsbrucker Grabungen werden von Nicole Mölck aufgearbeitet, der umfangreiche Bestand der Züricher Grabungen wurden mir zur Bearbeitung überlassen. Dafür und für die uneingeschränkte und stets freundschaftliche Unterstützung möchte ich Christoph Reusser und Martin Mohr herzlich danken. Eine weitere unverzierte romanische Bronzeschale wurde während der Grabungen geborgen (Inv.-NR. B 1289). 85 Abb. 3. Monte Iato: Bronzeschalen, 1–2 Skizzen aus dem Inventarbuch, 2–4 Umzeichnungen einiger Details der Gravur, 3 Zeichnungen der Schalen (ohne Verzierungen), 5–7 M. 1:3, sonst o. M. 1–2 Nach Inventarbuch Monte Iato, Universität Zürich, 3–4 Umzeichnung Monika Weber, RGZM, 5–7 Zeichnung Michael Ober, RGZM. 86 Historische Archäologie 2017 | Festschrift für Andreas Heege 192–199; Szatmári 2014; Toropova 2014). Vereinzelt treten Hanseschalen auch in Süddeutschland und Italien auf, sogar auf der Krim und in Jerusalem. Obwohl der Terminus Hanseschale in der Wissenschaft gebräuchlich ist, ist er dennoch irreführend, denn die Schalen datieren ins 12. und 13. Jahrhundert, somit in die Zeit vor dem Höhenpunkt des hanseatischen Städtebundes (allg. Hammel-Kiesow 2002; Hammel-Kiesow u. a. 2015). Neutraler ist der Terminus „romanische Bronzeschalen“. Die meisten Hanseschalen sind graviert und lassen sich anhand der Darstellungen in unterschiedliche Gruppen aufteilen. Die wichtigsten Publikationen sind der Corpus-Band von Josepha Weitzmann-Fiedler und die Studie zu Gebrauch und Bedeutung von Bronzegeschirr von Ulrich Müller (Weitzmann-Fiedler 1981; Müller 2006). Müller hat die verzierten Schalen in fünf Gruppen mit weiteren Untergruppen gegliedert (Müller 2006, 135–194) : Gruppe A: Schalen mit mythologischen und christlichen Themen Gruppe B: Schalen mit Tugend- und Lasterdarstellungen Gruppe C: Schalen mit Figurenreduktion Gruppe D: Schalen mit Tierdarstellungen Gruppe E: Schalen mit loralen und geometrischen Motiven Die Einordnung der Schalen vom Monte Iato ist aufgrund ihrer Erhaltung nicht einfach. Die Darstellungen sind nicht mehr genauer zu rekonstruieren. Die Schale mit der Inv.-Nr. B 2141 (Abb. 3,6) zeigt eine sehr undeutliche lorale Gravur, sie gehört somit zur Gruppe E (zur Datierung vgl. Müller 2006, 125 Abb. 38). Die andere Schale (Inv.-Nr. B 2138. Abb. 3,1–5) weist zwei gut erkennbare Darstellungsfragmente auf: zum einen eine sitzende Figur, deren Mantel und Faltenwurf klar zu erkennen ist (vermutlich vom Schalenboden) und zum anderen die Darstellung eines nach rechts blickenden Kopfes mit breitkrempigen Hut vom Gefäßrand. Schon diese kurze Beschreibung zeigt, dass die Schale zur Gruppe B oder C gehören muss (zur Datierung vgl. Müller 2006, 125 Abb. 38). Die Figur mit dem Hut indet sich in beiden Gruppen wieder. Gute Vergleichsbeispiele stellen etwa die Schalen aus Bonn, Großfriedewalde in Ostdeutschland, Kuhmoinen in Finnland, Westerwijk in den Niederlanden, aus Riga in Lettland und von mehreren anderen Fundorten bekannt. Büsten mit breitkrempigen Hut können sowohl bei der zentralen Darstellung im Mittelmedaillon vorkommen, aber auch bei den randlichen Szenen, wie bei dem Exemplar aus Sizilien. Die sitzende Figur ist ebenfalls weit verbreitet, sie indet sich auf den Mittelmedaillons der Schalen und den randlichen Szenen. Diese Darstellung tritt nur bei der Gruppe der Tugend- und Lasterschalen auf. Damit ist ein Hinweis auf die Einordnung dieser Schale gewonnen. Ein Vergleichsbeispiel, nämlich die Schale aus Ladenburg, zeigt das Aussehen eines Exemplars mit am Rand personiizierten Tugenden (Eckerle 1983). Sie sind anhand der Beischriften zu identiizieren: Bonitas (Güte), Benignitas (Freundlichkeit), Mansuetudo (Wohlgesittung), Castitas (Keuschheit), Modestia (Bescheidenheit), Religio (Glaube), Prudentia (Klugheit), Pax (Frieden), Oboedientia (Gehorsam), Temperantia (Bescheidenheit), Fortitudo (Tapferkeit), Iustitia (Gerechtigkeit), Pietas (Frömmigkeit), Providentia (Voraussicht), Ratio oder Patientia (Einsicht oder Geduld). Die Figur im Mittelmedaillon, ohne begleitende Inschrift, wird als Humanitas (Demut) interpretiert. D. Quast | Romanische Bronzeschalen vom Monte Iato 87 Abb. 4. Byzantinische Patene, 10./11. Jahrhundert, ohne Fundort, jetzt Ashmolean Museum Oxford, Dm. 26 cm (nach Sevrugian 1992, 14 Abb. 6). Die Funktion der romanischen Bronzeschalen ist unklar, und es ist keineswegs wahrscheinlich, dass es eine einheitliche Nutzung für sie gab. Es gibt einige Becken mit Ausguss, etwa aus Xanten, die vermuten lassen, dass die Becken paarweise zum Waschen der Hände genutzt wurden (Müller 2006, 326 Nr. 98, Taf. 2). Dies zeigt auch eine Buchmalerei aus der Emblemata biblica aus dem 13. Jahrhundert (Müller 2006, 44 Abb. 6). Derartige Sets bestehend aus Ausguss- und Aufangbecken, sie waren über das Bestehen der romanischen Bronzeschalen hinaus in Gebrauch, wie Beispiele aus Limoges aus der Zeit um 1300 zeigen (Kat. Nürnberg 2007, 181 Abb.165; 413 Nr. 290; Kat. Daoulas 1991, 148–149 Nr. 181). Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Verbreitung der Hanseschalen. Auf den ersten Blick deutet sich an, dass es sich bei unseren Schalen zweifellos um eine Form handelt, die aus dem nördlichen Mitteleuropa stammen muss. Dass die Verbreitung allerdings mit dem realen Vorkommen im 12./13. Jahrhundert übereinstimmt, ist keinesfalls so sicher. Gerade im Ostseegebiet ist das gehäufte Vorkommen vor allem dadurch bedingt, dass dort in vielen Regionen die Toten noch mit Beigaben bestattet wurden (vgl. die Verbreitung der Bronzeschalen, die aus Gräbern stammen: Müller 2006, 102 Karte 7,2). Hinzu kommt der Forschungsstand. Im nördlichen Mitteleuropa sind diese Schalen so bekannt, dass selbst kleinste Fragment aus Siedlungen sofort publiziert werden. Kann man gleiches für den Mittelmeerraum voraussetzen? Vor dem Bekanntwerden der drei Schalen vom Monte Iato bildeten in Italien die Funde aus Rom die südlichsten Hanseschalen (von Hessen 1984). Für die Auswertung der Schalen vom Monte Iato ist es sinnvoll, den Fokus zu wechseln und sie aus mediterraner Perspektive zu betrachten. Es gibt einige mit- 88 Historische Archäologie 2017 | Festschrift für Andreas Heege telbyzantinische Bronzeschalen, in denen man zumindest Vorbilder für die Hanseschalen sehen kann (zusammenfassend Sevrugian 1992). Zu erwähnen wäre eine Schale aus Adana in Kilikien, die in das 11. Jahrhundert datiert wird (Abb. 4) (Kat. Genève 2016, 34–341 Nr. 374). Weitere vergleichbare Schalen liegen aus den Museen Berlin, Washington, Kiew und Oxford vor; sie werden anhand stilistischer Vergleiche ins 10./11. Jahrhundert datiert (Ross 1962, 73–74 Nr. 90, Taf. 49 „Constantinopel“, Kat. Slg. Khanenko 1902, 32 Nr. 249, Taf. 11. – Sevrugian 1992. Zur Datierung ebd. 33). Es handelt sich dabei – wie gesagt – nicht um Hanseschalen, sondern um ältere Formen, die als Vorbilder gedient haben könnten. Wenn sich die Neufunde gravierter romanischer Bronzeschalen aus dem Mediterraneum und vom Balkan mehren (Popović 1999, 241–244), könnte das ein erneutes Nachdenken einfordern, ob nicht an den Grenzen des Byzantinischen Reiches der Ursprung dieser Form zu suchen ist, die im 12./13. Jahrhundert dann gleichermaßen nördlich und südlich der Alpen ein weit verbreitetes Element der „Elitenkultur“ war 3. Man wird aber natürlich auch nicht ausschließen können, dass die Schalen vom Iato aus dem nordalpinen Raum importiert wurden. Abb. 5. Monte Iato: Schnallenbeschlag aus einem Blech einer gravierten romanischen Schale geschnitten. M. 1:1 (Zeichnung: Michael Ober, RGZM). Beim derzeitigen Forschungsstand bleibt die Frage, wie die romanischen Schalen auf den Monte Iato gelangten und welche Funktion sie dort hatten. Vorerst deutet nichts darauf hin, dass sie auf dem Berg angefertigt wurden. Sie gelangte durch einen wie auch immer gearteten Warentransfer in die Stadt – von wo auch immer. Ganz unabhängig von der Funktion und der Bedeutung der Darstellungen im Inneren der Schalen wird die letzte, profane Nutzung als Rohstolieferant deutlich. Ein Gürtelbeschlag vom Monte Iato wurde aus einem Blechstück gearbeitet, das aus einer gravierten Hanseschale herausgeschnitten worden war (Abb. 5). Auch nördlich der Alpen war den Bronzeschalen oftmals ein solches Schicksal bestimmt. Dort wurden Bleche der Becken häuiger für Messerscheidenbeschläge recycelt (Müller 2006, 133–135 (mit älterer Lit.)). Wie wichtig Bronzefunde für die Metallversorgung Giatos waren, zeigen auch einige Bruchstücke von Kirchenglocken, die man zum Einschmelzen vorbereitet hatte. Aber auch bei vielen andern Bronzefunden, gerade bei jenen des späten 12. / frühen 13. Jahrhunderts zeigt sich, dass sie anscheinend zerstückelt worden waren, um sie für eine Wiederverwendung bzw. zur Herstellung notwendiger Produkte vorzubereiten. Diese Objekte werfen ein Schlaglicht auf die Situation der letzten Bewohner Giatos. Literatur Biczó 1992: P. Biczó, Román kori táltöredékek Bátmonostorról [Schalenbruchstücke aus dem romanischen Zeitalter aus Bátmonostor]. Cumania 13, 1992, 87–111. Booms / Higgs 2016: D. Booms / P. Higgs, Sicily – Culture and Conquest (London 2016). Clemens/Matheus 2008: L. Clemens/M. Matheus, Christen und Muslime in der Capitanata im 13. Jahrhundert. Eine Projektskizze. 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